Es ist nicht ganz klar, warum sich ausgerechnet die Deutsche Post um das Glück der Deutschen sorgt. Tatsache ist aber, dass sie jedes Jahr einen Glücksatlas herausgibt, in dem aufgrund einer Umfrage festgestellt wird, wo die glücklichsten Deutschen leben. Im vergangenen Jahr lebten die Glücklichsten in Schleswig-Holstein, die Unzufriedensten na wo schon – in Berlin. Insgesamt seien jedoch, so der Glücksatlas, die Unterschiede nicht gravierend: Das Glück der Deutschen insgesamt bewege derzeit dank der guten Konjunktur auf einem so hohen Niveau wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Zu der Feststellung kommt auch die aktuelle Untersuchung des größten deutschen Wirtschaftsforschungsinstitut DIW. In dem ist zwar nicht von Glück die Rede, sondern von Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen. Und die weise für das Jahr 2017 einen Höchststand auf, und zwar in allen Einkommensgruppen. Selbst bei denjenigen, die nur einen geringen oder keinen Zuwachs beim Einkommen verbuchen können. Das ist insofern erstaunlich, als die Einkommenszuwächse höchst unterschiedlich verteilt sind. Diejenigen, die am meisten verdienen, haben auch am meisten dazu gewonnen. Die anderen haben auch ein bisschen mehr, – alles in allem an die 20 Prozent mehr. Das Einkommen derjenigen aber, die am wenigsten verdienen, ist seit 2010 gesunken. Obwohl sie arbeiten. – Arm durch Arbeit.
Der DIW-Präsident Marcel Fratzscher spricht von einem „signifikanten Anstieg der Einkommensungleichheit“ und einem damit verbundenen „zunehmenden Armutsrisiko“. Und das trotz des Wirtschaftsbooms der vergangenen Jahre. Dafür, dass in Deutschland Millionen von Minijobbern und Teilzeitbeschäftigten, aber auch Menschen mit einem Vollzeitjob am Rande der Armutsgrenze leben, macht er vor allem die Politik verantwortlich. Sie habe die soziale Komponente der Sozialen Marktwirtschaft vernachlässigt: Immer mehr Arbeitsverträge würden außertariflich und nur befristet abgeschlossen. Außerdem werde in Deutschland das Einkommen aus Arbeit ungewöhnlich stark, Einkommen aus Vermögen dagegen ungewöhnlich gering besteuert.
Nun ist es andererseits aber keineswegs so, dass die glücklichen Besserverdienenden in Deutschland nicht auch an das Glück der Armen dächten. In einem der glücklichsten und reichsten Bundesländer, in Bayern, gibt es 169 Tafeln. Die versorgen rund 200.000 weniger reiche Menschen mit dem Essen, das die Glücklichen sonst wegwerfen würden. Und jetzt hat auch die Politik ihr Herz für die so gestaltete Versorgung der Armen entdeckt. Die bayrische Ernährungs- und Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber hat soeben einen Wettbewerb unter den Tafeln ausgeschrieben: Auf diejenigen, die die Verteilung der Armenspeise am besten organisieren, wartet ein Preisgeld von je 5.000 Euro. – Was brauchen wir noch einen Sozialstaat, wenn die Armut wie einst im Mittelalter als gottgewolltes Schicksal hingenommen und das Almosen als die einzige Gegenmaßnahme anerkannt sind?
WDR 3 Mosaik 9. Mai 2019