Kurz vor Ostern verlangte die Linke in Person des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch einen neuen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Treuhandgesellschaft. Die hatte zwischen 1990 und 1994 die Volkswirtschaft der DDR „abgewickelt“: Als unproduktiv eingestufte Betriebe wurden – unter teilweise fragwürdigen Bedingungen – privatisiert, die meisten allerdings stillgelegt. Hunderttausende Menschen verloren ihre Arbeit. – Zunächst lehnten die Grünen – wie alle anderen Parteien auch – die Forderung der Linken ab, 30 Jahre nach der Wiedervereinigung einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu installieren. Jetzt lenken sie ein und wollen mit den Linken darüber nachdenken.
Die
katholische Institution der Beichte wird auch von Psychologen hoch geschätzt.
Denn eine mutige Gewissenerforschung und das Aussprechen der eigenen Schuld
bauen Schuldgefühle ab und können darum äußerst heilsam sein. Die
parlamentarische Institution des Untersuchungsausschusses ist so etwas wie ein
politischer Beichtstuhl. In einer Art Ohrenbeichte bringt das Parlament den
Sünder, also die Regierung, dazu, die Wahrheit zu sagen und seine Verfehlungen
zu bekennen.
In Bezug auf die Geschichte der Treuhandgesellschaft ist dieser Vergleich kaum an den Haaren herbeigezogen. Denn immerhin – und darin sind sich viele Beobachter und Historiker einig, bewirkte die Arbeit der Treuhandgesellschaft eine nachhaltige Traumatisierung vieler Ostdeutscher: Die mit der „Abwicklung“ der DDR-Wirtschaft verbundenen Massenentlassungen führte bei vielen zu Ohnmachtserfahrungen und dann, als westdeutsche Eliten besserwesserisch über das Land kamen, zum Gefühl das Ausgeliefertseins. Der Historiker Marcus Böick, der die erste zeithistorische Untersuchung zur Treuhand vorlegte, kommt zu dem Schluss, dass sie in gewisser Weise identitätsstiftend für die Ostdeutschen war: Die zwischen 1990 und 1994 gemachten Erfahrungen führten zu einem sich von den „Wessis“ abgrenzenden Zusammengehörigkeitsgefühl, das sich bis heute erhalten hat.
So sind die Deutschen 30 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch eine in Ost und West gespaltene Nation. Über ein Drittel der Ostdeutschen sagt einer aktuellen Studie zufolge von sich, dass sie wie „Bürger zweiter Klasse“ behandelt werden. Fast die Hälfte der Westdeutschen degradiert die im Osten immer noch als „Jammerossis“. – Da nun aber eine der wesentlichen Ursachen für diese Spaltung in der Tätigkeit der Treuhand zu suchen ist, muss deren Geschichte neu aufgerollt werden. In den bisherigen Untersuchungsausschüssen in den 90er Jahren kam dazu nur wenig ans Tageslicht. Zwar war in dem von 1998 von Bilanzfälschungen, Korruption, Preisabsprachen und Unterwertverkäufen mit einem Gesamtschaden von bis zu zehn Milliarden D-Mark die Rede. Verantwortliche, Schuldige gar aber wurden bisher ebenso wenig benannt wie die Verwundungen, die den Betroffenen, den Entlassenen und Gedemütigten zugefügt wurden.
Die Regierungsparteien und die FDP lehnen einen Untersuchungsausschuss zur Treuhand ab. Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte von der CDU, vermutet hinter der Forderung danach einseitige Schuldzuweisung und „Geschichtspolitik“: Politiker, sagt er, seien nicht die besseren Historiker. Da hat er recht. Doch wird es noch sehr lange dauern, bis alle Akten der Treuhand von Historikern ausgewertet sind. Zu lange. Deshalb müssen jetzt die Parlamentarier einspringen. Und ein Untersuchungsausschuss. Ein Untersuchungsausschuss ist keine Gerichtsverhandlung, der Schuldige verurteilt. Aber er sollte schon auf dem Wege einer mutigen Gewissenserforschung ein paar Wahrheiten herausfinden. Und damit einen Schritt zur Heilung der deutschen Spaltung tun.
WDR 3 Mosaik 25.04.2019