Dass wütende Despoten gerne Gotteshäuser kapern und für ihre Zwecke umwidmen, ist ein trauriges altes Lied. Die Kölner zum Beispiel singen ihres besonders inbrünstig. Es handelt davon, wie ihr Ur-Heiligtum, der Dom, im Jahr 1794 von Napoleons Truppen entweiht, seiner Schätze beraubt und in einen Pferdestall verwandelt wurde. Dass das mit den historischen Tatsachen nicht so ganz übereinstimmt und die Kölner Kaufleute den Dom schon vor Napoleon als Lager zweckentfremdeten, spielt keine Rolle. Hauptsache, der symbolische Kern solcher Geschichten passt ins politisch gewollte Narrativ.
So verhält es sich auch mit den Geschichten um die Hagia Sophia im früheren Konstantinopel und jetzigen Istanbul. Bis auf den heutigen Tag erzählt man sich im christlichen Abendland gerne, dass der osmanische Eroberer Konstantinopels, Sultan Mehmed II., im Jahr 1453 zu Pferde in die damals größte und bedeutendste christliche Kirche einritt und sie dadurch entweihte. Die Geschichte erwies sich bald als ein Propagandamärchen. In Wirklichkeit stellte der Sultan bei der Besichtigung mit großem Bedauern den schlechten baulichen Zustand der Kirche fest und begann sofort mit ihrer Restaurierung und ihrem Umbau. Zu einer Moschee selbstverständlich.
In den ersten 900 Jahren ihrer Geschichte war die Hagia Sophia der Inbegriff christlichen Kirchenbaus in Europa. Die darauffolgenden 500 Jahre wurde sie zum baulichen Vorbild für alle Moscheen im osmanischen Einflussbereich. Bis ein weiser türkischer Herrscher sie im Jahr 1934 zu einem profanen Museum erklärte. Womit er die Möglichkeit schuf, dass Anhänger beider Religionen sie als heilige Stätte verehren konnten, ohne sich dabei in die Quere zu kommen. Es ist klar, dass so etwas nicht reibungslos verlaufen kann. Seither versuchte die eine wie die andere Seite, den Bau allein für sich zu reklamieren. Um politisches Kapital daraus zu schlagen.
Der lächerlichste Versuch war vor vier Jahren die Forderung russischer Duma-Abgeordneter, die Hagia Sophia an die orthodoxe Kirche zurückzugeben. Und zwar als „freundschaftlichen Schritt“ zur Wiedergutmachung für den Abschuss eines russischen Flugzeuges durch die Türkei. Ernst zu nehmen sind dagegen schon die Bestrebungen rechter türkischer Politiker – darunter Abgeordnete aus Erdogans AKP – die Hagia Sophia wieder zu einem muslimischen Gotteshaus zu machen. Dieser Forderung will der türkische Präsident nun aus politischem Kalkül nachkommen.
Denn kurz vor den Kommunalwahlen treibt Erdogan die Angst vor dem Machtverlust. Deshalb zieht er noch einmal seine schön öfter gespielte Trumpfkarte der religiösen Umwidmung der Hagia Sophia. Mit dieser Offerte an die Hardliner in den eigenen Reihen forciert er nicht nur seinen Wahlkampf, sondern opfert dafür ein Symbol für die friedliche Koexistenz zweier Religionen und Kulturen. Das kommt den Islamisten – auch außerhalb der Türkei – gerade recht. So wird Samuel Huntingtons Prophezeiung vom Kampf der Kulturen zur bitteren Realität.
WDR 3 Mosaik & DLF Kultur heute 29.03.2019