Zerstrittenheit ist zwar nicht das Alleinstellungsmerkmal der politischen Linken, doch eine ihrer hervorstechendsten Eigenschaften. Niemand anders im politischen Spektrum spaltet sich lieber als die Parteien der Linken. Insofern ist das Schicksal der linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ durchaus symptomatisch. In der Erklärung ihres Scheiterns beschwören ihre Gründungsmitglieder zwar noch einmal die Notwendigkeit, „die unselige Spaltung der linken Bewegungen zu überwinden.“ Doch dann attestieren sie sich selbst, dazu nicht in der Lage gewesen zu sein, schieben den eigentlichen Schwarzen Peter aber ihrer Chefin Sarah Wagenknecht zu, deren Abgang sie für „politisch nicht verantwortlich“ halten.
Natürlich ist in einer personenorientierten Politikkultur der Rücktritt einer so charismatischen Führungsfigur wie Sarah Wagenknecht ein Desaster. Ihrer Medienpräsenz, ihrer auch von politischen Gegnern anerkannten Kompetenz wie ihrer rhetorischen Stärke verdankte die „Aufstehen“-Bewegung ihren anfänglichen Überraschungserfolg. Aus dem Stand begeisterten sich über 100.000 Unterstützer dafür – das ist ein Viertel der Mitgliederzahl der SPD. Doch auch wenn die Gründung der Bewegung wahrscheinlich durch Wagenknechts Machtkalkül motiviert war: „Aufstehen“ entsprach und entspricht noch dem Bedürfnis vieler sich der politischen Linken zugehörigen Bürger nach einer Vereinheitlichung und machtpolitischen Durchsetzung ihrer Ziele.
Der von Wagenknecht angebotene Mix aus linker Sozial- und konservativer Migrationspolitik versprach auf den ersten Blick eine genügend breite programmatische Basis für eine erfolgreiche linke Sammlung. Doch tatsächlich kam die nie richtig in Schwung und sie wäre auch ohne den Abgang ihrer Galionsfigur über kurz oder lang versandet. Denn ein zweiter Blick auf Wagenknechts Programm offenbart das grundsätzliche Problem eines „linken Populismus“. Wenn der – etwa in Bezug auf die Migranten – quasi eins zu eins Positionen der Rechten aufgreift und von dieser dafür ausdrücklich gelobt wird, verliert er auf Dauer jegliche Glaubwürdigkeit, auch und vor allem in den eigenen Reihen.
In der „Breite“ ihres auch ausgemacht rechte Politikinhalte umfassenden Spektrums ist also einer der Gründe für das nun voraussehbare Scheitern von „Aufstehen“ zu sehen. Ein anderer in der schier unüberwindlich scheinenden Schwierigkeit, in Deutschland Menschen für „linke“, die soziale Gleichheit und Gerechtigkeit betreffende Themen zu mobilisieren. Wie kläglich sah Sarah Wagenknecht aus, als sie sich, den französischen gilets jaunes nacheifernd, vorm Bundeskanzleramt eine gelbe Weste überzog – und niemand folgte ihr. Das einzige, was die Deutschen auf die Straße treibt, ist die Angst. Sei es die Angst vor ökologischen Katastrophen oder die Angst vor den eingewanderten „Fremden“. Warum das so ist, wäre ein schönes Untersuchungsthema für ein „linkes Denklabor“. Das wollen die Initiatoren von „Aufstehen“ als nächstes gründen.
WDR3 Mosaik 18.03.2019