Obwohl er an einer kolonialen Eliteschule im damaligen britischen Malaya beschäftigt ist, hat der englische Geschichtslehrer Victor Crabbe ein eher gebrochenes Verhältnis zum Kolonialismus. Den Einheimischen begegnet er nicht mit dem Blick des zivilisatorisch überlegenen Herrn, sondern auf Augenhöhe. Bei einer Fahrt über Land bleibt sein Auto mit einem Motorschaden liegen. Nachdem es von einheimischen Mechanikern im Handumdrehen repariert wurde, verwickelt Crabbe seinen Chauffeur Alladad Kahn ein Gespräch über die Metaphysik des Verbrennungsmotors.
„Es ist schwierig, das in einer Sprache wie Malaiisch zu sagen“, begann Crabbe. „Jedenfalls glaubte dieser Platon, dass alles, was auf der Erde existiert, nur eine Kopie eines chontoh dalam shurga ist, eines himmlischen Musters.“ „Dann gibt es also im Bewusstsein Gottes einen Verbrennungsmotor“, antwortete Alladad Kahn, „und alle anderen auf der Welt versuchen ihn nachzubilden?“ „Ja, so ungefähr.“ „Und dieser Verbrennungsmotor Gottes bleibt niemals liegen?“ „Oh nein, das kann er gar nicht. Er ist vollkommen.“ „Verstehe“, sagte Alladad Kahn. Und nach einer Weile: „Aber welchen Nutzen zieht Gott aus einem Verbrennungsmotor?“ „Weiß der Himmel.“ „Das stimmt. Gott weiß es am besten.“
In Szenen wie dieser spiegelt sich der hintersinnige Witz, mit dem Anthony Burgess das Thema seines Erstlingswerks angeht. Sein Held Victor Crabbe spricht fließend malaiisch und sympathisiert mit der Unabhängigkeitsbewegung des späteren Malaysia. Gleichzeitig sieht er es als seine Aufgabe an, seine asiatischen Schülern und Mitmenschen an den Errungenschaften der abendländischen Zivilisation teilhaben zu lassen. Mit den ungeschriebenen Gesetzen des weißen Mannes hat er dagegen gebrochen, er verweigert die Dinnerpartys ebenso wie das obligate Golfspiel am Wochenende. Das bringt ihn einerseits in Konflikt mit seiner Ehefrau Fenella, die an Asien und den Asiaten leidet und am liebsten schnellstmöglich zurück nach England will. Zum anderen liegt Crabbe ständig mit seinem vorgesetzten Schuldirektor überquer, einem Kolonialisten von altem Schrot und Korn. Beide Konflikte entfalten sich im Laufe des Romans zu einer geist- und pointenreich erzählten Komödie und werden am Ende durch den heimlichen Helden des Romans gelöst, den riesengroßen und ewig betrunkenen britischen Polizisten Nabby Adams. Ihm verdankt der Roman übrigens seinen Titel. „Time for a Tiger“ ist der Werbespruch für ein heute noch in Malaysia gern getrunkenes Bier. Nabby Adams braucht täglich mehrere Dutzend Flaschen davon. Nach einem gemeinsamen Ausflug in den Dschungel werden er und die Crabbes unzertrennlich.
Fenella sprach weniger davon, dass sie mit dem nächsten Schiff zurück nach England wolle. Sie hatte Verpflichtungen. Das große mutterlose Wrack Nabby Adams brauchte Hilfe und, da Fenella eine Frau war, Heilung. Aber Nabby sprach auch eine andere Seite in ihr an, die gelehrsame Seite. Sie liebte jede seiner abgedroschenen Phrasen und spielte sogar mit dem Gedanken, seine Aussprüche in einem Buch mit Aphorismen zu sammeln. – „Ich bin kein Freund von der Kirche, Mrs. Crabbe, aber für eine schöne Lethargie habe ich immer was übrig.“ – „Eine schöne…?“ „Lethargie.“
In „Jetzt ein Tiger“ und in den beiden noch folgenden Bänden seiner „Malaya-Trilogie“ hat Anthony Burgess eigene Erfahrungen verarbeitet: Von 1954 an unterrichtete er mehrere Jahre im Dienste des British Colonial Service als Lehrer in Malaya und Brunei. Da Burgess ein eigenwilliger und renitenter Zeitgenosse war, schlugen seine Vorgesetzten drei Kreuze, als er nach vier Jahren den Dienst quittierte. Was sie wohl am meisten an ihm störte, war seine Sympathie für das Land und seine Kultur. Im Handumdrehen lernte der Sprachbegabte Malaiisch und verfolgte mit Interesse und Bewunderung das Miteinander der vielen Religionen und Völker Malaysias. – Wenn Burgess sein Alter Ego Victor Crabbe über diese Sympathie nachdenken lässt, mischt sich da allerdings sowohl ein Wermutstropfen des Heimwehs nach der eigenen Kultur wie die Bitterkeit der Erfahrung des Kolonialismus hinein.
Eigentlich müsste ich nach Hause wollen wie Fenella. Derart satt müsste ich diesen Scherbenhaufen hier haben, den Bildungshass, den Rassismus, die Faulheit und die Ignoranz, dass ich mir nichts Besseres wünschen könnte als die Leitung einer kühlen steinernen Landschule in England. Aber ich liebe dieses Land. Ich will es beschützen. Manchmal, kurz vor Tagesanbruch, spüre ich, dass ich es irgendwie umfasse, es in mir trage. Ich spüre, dass es mich braucht.
Anthony Burgess, Jetzt ein Tiger. Roman. Aus dem Englischen von Ludger Tolksdorf. Elsinor-Verlag. 232 Seiten. 26 Euro