Seit 14 Wochen gehen die Gelben Westen ununterbrochen gegen Macron und seine Politik auf die Straße. In ihrem Protest artikuliert sich der Wille zum Umsturz des Regimes. Getragen von der Mehrheit der Franzosen. Bis zum vergangenen Wochenende war es jedenfalls noch die Mehrheit. Das könnte sich jetzt ändern, nachdem die Revolution überdeutlich ihre unappetitliche Seite gezeigt hat.
Die von den Gelbwesten bei der letzten Samstagsdemonstration herausgebrüllten Hasstiraden gegen den jüdischen Philosophen Alain Finkielkraut waren nicht die ersten antisemitischen Pöbeleien während ihrer Proteste. Antisemitisches Pack ist dabei immer schon mitmarschiert und hat seinen „umgekehrten Hitlergruß“ gezeigt. Genauso wie rechtsradikaler oder linksradikaler Pöbel mitmarschiert ist. Und noch jede Menge anderer Irrläufer, Geisterseher, Verschwörungstheoretiker und Hassprediger. Wie immer, wenn eine Gesellschaft in Aufruhr gerät, kommt dabei auch ihr Bodensatz nach oben. Dem Revolutionär Karl Marx hat das überhaupt nicht gepasst und er denunzierte diese Leute verächtlich als „Lumpenproletariat“. Wahrscheinlich deswegen blieb seine Vorstellung von Revolution auch immer nur Theorie.
Wenn der Hass auf die Straße geht, schrieb schon vor der Samstags-Demonstration die Pariser Rabbinerin Delphine Horvilleur in „Le Monde“, ist immer auch der antisemitische Hass dabei. Dass der sich auch bei den gilets jaunes Luft verschaffe, sage nichts über deren Bewegung und deren Anliegen aus, sei also keineswegs symptomatisch für sie. – Das sehen in Frankreich allerdings nicht alle so, besonders nicht die Regierungspolitiker und deren Leitmedien. Ihnen bieten die Pöbeleien gegen Alain Finkielkraut eine sehr willkommene Gelegenheit, nach dem bewährten Muster den Teil für Ganze zu nehmen, die Gelbwesten zu diskreditieren. Das haben sie zwar immer schon getan, sie mal als rechts- mal als linksradikal „unterwandert“ denunziert. Aber „Antisemitismus“ ist immer noch das stärkste Argument, um einen Gegner mundtot zu machen.
Gewiss ist es kein Zufall, dass zeitgleich mit den Ausschreitungen gegen Finkielkraut in Paris der Jewish World Congress in München vor den Folgen eines zunehmenden Antisemitismus in Europa warnte. Dessen Gift ist in Deutschland, aber stärker noch in Frankreich virulent. Antisemitische Straftaten stiegen dort im letzten Jahr um über 74 Prozent. – Den bei den Gelbwesten zutage tretenden Antisemitismus aber bloß als Spiegel der ganzen Gesellschaft abzutun, wäre eine unverantwortliche Verharmlosung. Die nun in Frage gestellte Legitimität ihres Anliegens können sie nur behaupten, indem sie sich radikal von dieser Seuche kurieren.
WDR 3 Mosaik 19. Februar 2019