Hätten ihre Erbauer allein auf die Kosten geachtet, gäbe es heute weder die Uffizien in Florenz noch den Louvre in Paris. Ganz zu schweigen von der Elbphilharmonie. Kultur ist nicht nur in aristokratischen Gesellschaften aufs engste mit Repräsentation und stilvoller Verschwendung verknüpft. Auch das Bürgertum legte einst allergrößten Wert auf einen angemessen prunkvollen Rahmen, in dem sie stattfindet. Und ließ sich das oft auch ein bisschen mehr kosten. Die Vergangenheitsform ist hier angebracht. Denn das Bürgertum, das sich mit luxuriösen Musentempeln schmückte, existiert heute nur noch in der Schrumpfform des Bildungsbürgertums. Und das ist lange schon nicht mehr mehrheitsfähig. Es sei denn, es kann sich mit der repräsentationswütigen Neuaristokratie des Kapitals verbünden. Siehe Elbphilharmonie.
Wer sich auf dem Fahrrad durchs beschauliche Münsterland bewegt, braucht vor kultureller Repräsentationswut keine Angst zu haben. Westlich von Münster kehrt er zuerst im romantischen, aber ein wenig angestaubten Annette-von-Droste-Hülshoff-Museum ein. Wenige Kilometer weiter stößt er im 12.000-Seelen-Ort Havixbeck auf das nicht weniger verstaubte „Baumberger Sandstein Museum“. Dort kann er Exponate der Steinmetzkunst am im Münsterland weit verbreiteten „gelben Sandstein“ finden. Und einen Ort, an dem sich derzeit exemplarisch das Verhältnis des Bürgers zur Kultur beobachten lässt.
Da die Besucherzahlen des Museums seit Jahren beeindruckend rückläufig sind, beschloss der Rat der Stadt Havixbeck eine Neukonzeption: Partieller Neubau und Erweiterung zu einem „Kompetenzzentrum“ genannten Veranstaltungs- und Bildungsforum. Nach den Zusagen zahlreicher Fördermittel verbleibender Kostenpunkt für die Kommune: Zweieinhalb Millionen Euro. Zu viel, urteilte eine Bürgerinitiative in Havixbeck. Das Geld würde der Gemeinde in Zukunft anderswo fehlen. Sie erzwang einen Bürgerentscheid. Am Sonntag setzte sie sich nach langen juristischen Querelen in einem sogenannten Ratsbürgerentscheid mit einer Mehrheit von 77 Prozent durch.
Kulturpessimisten würden jetzt sagen, dass wenn es zu deren Entstehungszeit schon Bürgerentscheide gegeben hätte, es weder die Uffizien noch den Louvre gäbe. In Bürgerentscheiden setzt sich heutzutage in der Regel das Partikularinteresse der „Betroffenen“ durch. Und das bemisst sich – sieht man von „Belästigungen“ durch Flüchtlingsheime einmal ab, vor allem am Geldbeutel. Dem Bürger heute geht es nicht mehr um die Repräsentation seiner Klasse, sondern um sein eigenes Konto. Recht hat er, wenn es um großkotzige bis größenwahnsinnige Projekte der Stadtoberen geht, die sich eigene Denkmäler schaffen wollen.
Vielleicht haftet der Wortwahl „Kompetenzzentrum“ für die Modernisierung eines verstaubten Museums in der westfälischen Provinz ein Hauch von Größenwahn an. Zu einem exklusiven Kulturstandort hätte die Havixbeck wohl sicher nicht gemacht. Ein bisschen Kultur aber sollte man sich doch wohl leisten dürfen.
WDR 3 12. Februar 2019