35 Jahre deutscher Regionalkrimi
„Gib mir noch ein Kölsch“, lallte er. „Geh nach Hause, Manni, du bist voll“, raunzte Joe, der Wirt des Golden Hill, über den Tresen. „Noch ein Kölsch, hab’ ich gesagt!“ Manni kniff die Augen zusammen. „Du kriegst nichts mehr, du hast genug, Mann.“ Joe war jemand, der es nicht gewohnt war, etwas zweimal zu sagen.
So beginnt der erste deutsche Regionalkrimi um den Säufer, Zocker und Privatermittler Manni Thielen. 1984 geschrieben und jetzt, zum 35. Jubiläum noch einmal gelesen von Christoph Gottwald. – Schon der Titel „Tödlicher Klüngel“ markiert das Terrain des künftigen Erfolgsgenres: Bis zum Klischee verdichtetes Lokalkolorit – in dem Fall der „kölsche Klüngel“ – in kriminalistischer Verpackung.
Als wir anfingen, Regionaltitel zu machen, da hab’ ich gedacht: Wir machen alles das, was die großen Verlage für die Bundesrepublik machen, das machen wir für Köln.
Der Kölner Verleger Hejo Emons gilt als „Erfinder“ des Regionalkrimis.
Und da war es naheliegend, auch einen Krimi zu machen, der in Köln spielte. Und es war noch naheliegender, da „Köln-Krimi“ aufs Cover zu schreiben.
„Labeling“ heißt dieses Verfahren in der Verlagsbranche. Man klebt einem Buch eine bestimmte vielversprechende Marke auf und hofft, dass der Titel dann „funktioniert“. – Und wie es funktioniert hat, dieses Vermarktungskonzept! Hunderte von „Köln-Krimis“ sind in den letzten 35 Jahren erschienen. Aus dem Kleinverlag Emons wurde eine veritable Bücherfabrik, die ihr Regionalkonzept vervielfältigte und inzwischen in sage und schreibe 79 deutschen Regionen Millionen von speziell auf diese geeichte Krimis verkauft. Der deutsche „Regionalkrimi“ geriet zu einer Erfolgsgeschichte, die dem lahmenden Buchmarkt auf die Beine half. Emons fand viele Nachahmer, am Anfang waren es ebenfalls Kleinverlage, die schnell den lokalen Buchmarkt mit entsprechenden Titel eindeckten. In Ostfriesland heißen sie „Friesenschwur“, in den bayrischen Alpen „Schwindelfrei ist nur der Tod“, im Ruhrgebiet „Förderlüge“, auf Sylt „Sylter Sommerlicht“, in Bielefeld „Campusmord in Bielefeld“ und in der Eifel halt – „Eifelkrimis“.
Wie war Driesch in den Fluss gekommen? Egal. Er war im Wasser, er hetzte flussabwärts durch die Schlucht, die die alten Monschauer Handwerkerhäuser bildeten.
Autor Jacques Berndorf liest aus seinem Eifel-Krimi „Eifelsturm“.
Nur wenige Stunden zuvor waren Tausende von Touristen über die Brücken geschlendert, die dicht nebeneinander das Wasser der Rur überspannten. Links, wenn man vom Marktplatz kam, die Straßenbrücke. Rechts die Fußgängerbrücke, die zur evangelischen Kirche führte. Jetzt, in der Dunkelheit, war Driesch mutterseelenallein. Nein. Nicht ganz allein. Denn da lief hinter ihm sein Mörder.
Mit seiner Reihe von Eifel-Krimis von Jaques Berndorf machte der Dortmunder Grafit-Verlag den Regionalkrimi über die Grenzen der Region hinaus bekannt. Wenig später ließ Grafit außerdem Georg Wilsberg in Münster ermitteln, der Pendragon-Verlag schickte den Privatermittler Bröker auf Verbrechersuche in Bielefeld.
Die Provinz als Schauplatz, oder das flache Land – das gibt es schon immer, das hat der Regiokrimi nicht erfunden. Der Regiokrimi hat erfunden, das sozusagen zu formatieren, das hat er erfunden.
Der Krimikritiker Thomas Wörtche.
Es ist eine Fortsetzung von Heimatroman mit Mord, sozusagen. Und der Mord ist eigentlich nur ein Aufhänger, ist ein Erzählhaken, der dann möglichst genau und nach gewissen Paradigmen, die nicht unbedingt literarisch sind, den Schauplatz abklopft.
Sucht man nach dem Erfolgsrezept, ist die erste und wichtigste Zutat, ja eigentlich die Essenz des Ganzen, die Authentizität des Schauplatzes. Alles muss so sein, wie der lokale Leser es kennt, so, dass er sich darin wieder- und zurechtfinden und sagen kann: Genau so ist es.
Es ist das Heimatgefühl, was man da hat, wo die Speisekarte des Dorfgasthauses richtig reproduziert ist, – das ist viel wichtiger als das Thema, um was es geht.
Ja, wir sind wirklich, als wir das Manuskript vorliegen hatten, das war ein existierendes Manuskript, dass wir dann ein bisschen mehr auf Köln umgebaut haben, da sind wir durch die Stadt gelaufen und haben geguckt: Stimmt das, dass da in der Friesenstraße 17 das Klingelschild aus der Wand raus ragt? Das stimmte in dem Fall. Manche andere Sachen stimmten nicht, die haben wir dann korrigiert. Wir haben alles ganz genau angeguckt.
Verleger Hejo Emons über die Arbeit am ersten Köln-Krimi. – Die zweite unverzichtbare Zutat neben der Genauigkeit bei der Beschreibung der Örtlichkeiten ist, dass der Regionalkrimi auf lokale Eigentümlichkeiten eingeht, vom Dialekt über die kulinarischen Spezialitäten bis zur Biermarke. Die Leser dieser Krimis scheinen sich darin wiederfinden – und wohlfühlen zu wollen. Etwas, was den Ethnologen Thomas Hauschild dazu bringt, den Erfolg des Genres auf eine Art von Globalisierungsflucht zurückzuführen: Das Weltgeschehen erscheint vielen als zu komplex, im Regionalkrimi dagegen finden sie Überschaubarkeit, das Böse wird lokalisier- und fassbar.
Die Sehnsucht nach Überschaubarkeit, nach dem wiedererkennbaren Geschmack, nach Heimat also im schlichtesten Sinne, führt dazu, dass wir gerne zu Waren greifen, denen wir in jeder Hinsicht gewachsen sind und vorschnell vertrauen: Zur Fertigpizza. Zur Hitparade. Zum Regionalkrimi.
Die Schriftstellerin Uta Maria Heim. Sie schreibt selbst Kriminalromane mit regionalem Bezug. Grenzt sich aber vehement von diesem Genre ab.
Der Regionalkrimi widmet sich mit Feuereifer der Bekräftigung des Bestehenden, er tradiert die Normen, die in der kollektiven Volksseele verankert sein sollen. Überraschungen werden vermieden. Das schenkt der wachsenden Kundschaft Überlegenheit und Heimat. Nur im Regionalkrimi kann man sich noch darauf verlassen, dass man seine Sicht der Dinge wiederfinden und am Schluss durchblicken und aufatmen darf.
Hejo Emons:
Ich glaube, das ist Unsinn. Das sind ja hundertdreißig, hundertvierzig, hundertfünfzig Krimis, die sind ja alle unterschiedlich. Das kann ja durchaus sein, dass da auch mal ein Klischee drin ist. Mein Gott. In jedem Krimi sind Klischees drin. Also das ist völliger Unsinn, dass der Regionalkrimi Klischees verbreitet. – Es gibt ein Verbrechen und die Wohlfühligkeit, die wird gestört, die Menschen in der Stadt haben Angst, wissen nicht, was da los ist, die wollen eine Aufklärung und am Ende haben die eine Aufklärung. Aber das ist ja in jedem Krimi, in nahezu jedem Krimi, – wie viel Krimis gibt es mit einem bad end? Nicht so richtig viele.
Ein anderer Vorwurf, der den Regionalkrimis gemacht wird, läuft auf das, wie Uta Maria Heim es ausdrückt, „Amateurhafte, Handgearbeitete und sprachlich Schlichte“ hinaus, das sich oft im Genre findet. Ein Urteil, dem sich das Feuilleton und die Krimikritik darin recht vorbehaltlos anschließt:
Thomas Wörtche:
Das ist wenig ästhetisch innovativ, also da wüsste ich jetzt nix, wo man beim Regionalkrimi irgendwo sagen würde, da ist ne neue Schreibweise, da ist eine neue Sicht, da ist ein origineller Blick auf die Welt. Das ist schon das alte klassische Krimimuster, das eigentlich schon seit den 1930er Jahren obsolet ist. Also vorne ist ne Leiche, hinten weiß man, wer es war. Literarisch passiert da nix, weil das – Productiondesign! – die Leser natürlich verstören würde, wenn ich jetzt plötzlich – auch wenn das Ding an der Mittelmosel spielt – plötzlich mit einem avantgardistischen Text konfrontiert würden.
Es ist der Bürgermeister, der anruft. Eberhofer, gut, dass ich Sie erreiche, sagt er. Können Sie gleich zu mir ins Büro rüberkommen? Es ist wirklich sehr dringend, Eberhofer.
Rita Falk liest aus ihrem Franz-Eberhofer-Krimi „Grießnockerlaffäre“.
Ja, wenn’s wirklich dringend ist, kommt er natürlich, der Eberhofer. Vorher muss er aber noch schnell was essen. Drüben am Tresen. Eine Leberspätzlesuppe mit zartem Gemüse, einen gemischten Braten mit Möhren, ebenfalls gemischt und dazu ein Kraut. Und einen feinen warmen Apfelstrudel mit Vanilleeis. Ein oder zwei Bier dazu. Großartig.
Der überaus große Erfolg der deftig die niederbayrische Speisekarte herunter deklinierenden und gleichzeitig hinreißend komischen Eberhofer-Krimis scheint der etablierten Krimikritik Unrecht zu geben. Wie auch die Wilsberg-Krimis aus Münster oder die Kluftinger-Krimis aus dem Allgäu haben sie ihren Weg ins Fernsehen – und zu einem großen Publikum gefunden. Vor allem aber: Eine neue Leserschaft erschlossen. Regionalkrimi-Leser sind nämlich oft Leser, die bisher nicht gelesen haben, jedenfalls keine Romane gelesen haben. Etwas Besseres kann dem darbenden Büchermarkt kaum passieren. Ob das auch auf die Literatur zutrifft, ist eine andere Frage. – Den Krimiautor Christoph Gottwald hat es jedenfalls ermuntert, den Privatermittler Manni Thielen zu reaktivieren und eine Fortsetzung seines ersten Köln-Krimis zu schreiben.
Der ICE 813 rollte in den Kölner Hauptbahnhof ein, die Türen pufften hydraulisch auf, und Manni betrat seit über zwanzig Jahren zum ersten Mal wieder den Boden seiner Heimatstadt. Oft hatte er versucht, sich vorzustellen, was dieser Moment wohl für eine Reaktion in ihm auslösen könnte. Würden ihm Tränen der Rührung aus den Augen sprudeln? Würde eine Panikattacke ihn am Genick packen und seine Schweißdrüsen zu Sonderschichten zwingen? Würde er instinktiv nach auf ihn gerichteten Schnellfeuerwaffen Ausschau halten? All das blieb aus.
WDR 5 Scala 11. Januar 2019