Am Samstag, morgen also, stehen in Frankreich die Fahnen auf Sturm. Die Protestbewegung der gilets jaunes hat sich auf die Beschwichtigungen der Macron-Regierung nicht eingelassen. Sie will weitermachen. Die konservativen Medien verbreiten Angst und malen die Revolution an die Wand. Die Polizei weiß jetzt schon, dass es wieder zu Gewalteskalationen kommen wird. Woher eigentlich? Fest steht allerdings, dass es kaum zimperlich zugehen wird. Wie meist, wenn das Volk in Frankreich mit Wut im Bauch auf die Straße geht. Mit einer Wut, die sich lange aufgestaut hat. Denn deren Entladung hat, wie sich jetzt zeigt, gar nicht so sehr mit der aktuellen Politik tun – den Sprit- und Strompreisen. Sondern mit einer Gesellschaft, in der es prinzipiell ungerecht zugeht. In der eine wachsende Millionenschar von hart Arbeitenden nicht mehr von ihrer Arbeit leben kann. Es sind diese Leute, die seit Mitte November in Frankreich demonstrieren.
Die 42 Forderungen, die die Gelbwesten jetzt der Regierung übergaben, reichen weit über die nach einer Rücknahme der CO2-Steuer und der Erhöhung der Strompreise hinaus. Im Wesentlichen geht es um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Geringverdiener, um die Anhebung der kleinen Renten und des Mindestlohnes. Einen mehr als bloß symbolischen Charakter hat die Forderung nach Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Staatspräsident Macron vor einem Jahr abschaffte. Womit er die oberen Einkommensschichten um mindestens dreieinhalb Milliarden Euro entlastete und sich den Namen „Präsident der Reichen“ verschaffte. Sein unsäglich arroganter und verächtlicher Umgang mit normalen Menschen, den „kleinen Leuten“ hat diesen Ruf verfestigt. Und bei eben diesen „kleinen Leuten“ das Gefühl weiter wachsen lassen, eine kleine, abgeschirmte Elite entscheide über das Schicksal von Millionen, ohne dass sie eine Mitsprache hätten. Und ohne dass ihnen auch nur ein Hauch von Mitgefühl, ein Funken von Respekt entgegengebracht würde.
Es geht also um Respekt. Um den wertschätzenden Umgang miteinander, von der eine Gesellschaft lebt. Und der verloren gegangen ist unter den Bedingungen eines globalisierten Turbokapitalismus, denen sich die Regierung Macron beugen zu müssen glaubt. Nur das Gefühl der Kränkung, das aus dem Mangel an Respekt resultiert, erklärt die überschäumende Wut, mit dem sich der Protest in Frankreich artikuliert. Dass sich ihm Krawall und Gewalt suchende Rechtsradikale als Trittbrettfahrer angeschlossen haben, ist kein Grund, den Protest der Gelbwesten als von Radikalen unterwandert zu denunzieren und ihm damit die Legitimation abzusprechen.
Nach wie vor unterstützen dreiviertel aller Franzosen die Protestaktionen der gilets jaunes. Denn es hat sich gezeigt, dass man schon heftig an den Toren der Paläste rütteln muss, um deren Bewohner zu wecken. Und dazu zu bewegen, wenn schon nicht Respekt, dann wenigstens Aufmerksamkeit zu zeigen. Und natürlich stellt sich die Frage, warum nur die Franzosen auf den Trichter gekommen sind, dass das eine gute Methode ist. Erst vor ein paar Tagen kam die Meldung, dass mehr als 40 Prozent der Deutschen von der Hand in den Mund leben müssen, also faktisch arm sind, obwohl sie hart arbeiten. Warum gehen sie nicht auf die Straße? – Vielleicht werden sie hier nicht mit so viel Verachtung behandelt wie von einem Emmanuel Macron. Doch besteht der Respekt, den man ihnen hier zollt, aus den gleichen Krumen, die man ihnen in Frankreich vorsetzt.
WDR 3 Mosaik 7. Dezember 2018