„Sprache ist mehr als Blut“. Unter dieses vom jüdischen Religionswissenschaftler Franz Rosenzweig stammende Motto setzte Victor Klemperer nach dem Ende des Naziterrors seine berühmte Untersuchung der Sprache der Nazis: „Lingua Tertii Imperii“. „Blut“ war das Schlüsselwort der Nazi-Ideologen. Ständig faselten sie von „Blutreinheit“ – und meinten damit nichts anderes als die physische Vernichtung aller „Unreinen“, der Juden vor allem. Klemperers Anliegen war zu zeigen, dass Wörter mehr sind als eine Aneinanderreihung von Lauten: Dass sie etwas transportieren, ein Weltbild, eine Ideologie – und damit am Ende auch Handlungsanweisungen.
Dieser Zusammenhang ist allen Propagandisten und Agitatoren sehr wohl bewusst. Müssten sie bestimmte Schlüsselwörter aus ihrem Wortschatz streichen, wäre ihre ganze Ideologie perdu. Deshalb ist auch der Schock nachvollziehbar, der über die Granden der AfD kam, nachdem sie einen Blick in ein von ihnen selbst bestelltes Gutachten warfen. Der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek, selbst stramm nationalkonservativ, hat es verfasst. Um der im Raum stehenden, durchaus existentiellen Drohung zu entgehen, künftig vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden, schlägt er vor, dass die AfD künftig auf eine Reihe von Begriffen, Verunglimpfungen und Unterstellungen verzichtet. Beispielsweise auf „Umvolkung“, „Volkstod“, „Großer Austausch“. Oder die Bezeichnung von Flüchtlingen als „Invasoren“ und die der übrigen Parteien als „Systemparteien“, – was übrigens ein eindeutiger Nazibegriff ist.
„Da brauche ich ja morgens gar nicht mehr aufzustehen“, war die erste Reaktion des AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland. Andere Parteimitglieder meinten, da könnte man sich ja auch gleich auflösen. – Womit sie gar nicht so falsch liegen. Denn die komplette Programmatik der AfD ist auf die an solche Wörter und Begriffe gekoppelten politischen Vorstellungen aufgebaut. Bisher war die Auffassung verbreitet, die AfD benutze sie lediglich als Reizvokabeln, um die politischen Gegner aus der Reserve zu locken. Und um durch ihre agitatorische Wiederholung die Grenzen des Sagbaren zu verschieben. Dieses Ziel hat sie bereits erreicht. Die sogenannte politischen Mitte plappert längst schon ihr Verschwörungsvokabular nach. CSU-Prägungen wie „Asyl-Tourismus“ und „Anti-Abschiebe-Industrie“ sind inzwischen gängige Stammtisch-Währung.
Der Schock, der auf die Erkenntnis folgte, dass sie mit dem Verlust ihrer aggressiven, verleumderischen und an Nazi-Begriffe angelehnte Sprache auch ihre politischen Inhalte verliert, entlarvt die AfD. Denn damit ist klar: Es kommt ihr überhaupt nicht darauf an, zu provozieren und damit eine politische Diskussion zu initiieren. In der von ihr angestrebten Gesellschaft haben Diskussionen nämlich nichts mehr verloren. Nicht nur in ihrer Sprache, auch in der praktischen Politik der AfD – ihrer denunziatorischen Lehrerkampagne in Hamburg beispielsweise – bildet sich eine durch und durch autoritäre, mit den Idealen unserer Verfassung vollkommen unvereinbaren Gesellschaftsvorstellung ab. So kann man nur hoffen, dass die Gaulands, Höckes und Meuthens trotzig bleiben, keine Kreide fressen und deshalb künftig vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
WDR 3 Mosaik 06. November 2018