In der letzten Oktoberwoche 2019 sickerte nach und nach durch, dass für die bestialische Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi Kronprinz Mohammed bin Salman von Saudi Arabien verantwortlich war. Bis zu diesem Zeitpunkt war er auch in der Kultur ein gern gesehener Mäzen.
Eine der erschreckendsten Figuren der Literatur ist William Shakespeares Richard III. Mit unvorstellbarer Brutalität strebt er zur Macht und lässt ermorden, wer sich ihm in den Weg stellt. – Den Schauspielern wie dem Publikum aber bereitet Richard III. immer wieder großes Vergnügen. Darf doch hier jemand auf der Bühne all die bösen Dinge tun, die selbst zu tun man manchmal träumt, die in der zivilisierten Welt aber verboten sind.
Außerhalb der Bühne, im wirklichen Leben, gestaltet sich die Identifikation mit dem Bösen zuweilen etwas komplizierter. Wenn jemand so charmant auftritt und so freundlich mit Wohltaten um sich wirft wie Mohammed bin Salman, der saudische Kronprinz, dann will man einfach nicht mehr darüber nachdenken, wie viele Menschen er bisher für seinen Machterhalt umbringen oder ins Gefängnis stecken ließ. Dann stellt man sich den Prinzen lieber als den großzügigen Reformer vor, der er vorgibt zu sein: Der erstmals den Frauen erlaubt, Auto zu fahren. Der nach drei Jahrzehnten Filmverbot das erste Kino in der Hauptstadt Riad eröffnet und weitere 350 Filmhäuser verspricht. Und der sein Land den westlichen Investoren öffnet, auf dass sie darin eine moderne High-Tech-Industrie aufbauen.
Dann aber geschieht ein Mord, den sich kein Richard III.- Regisseur getraut hätte, so auf die Bühne zu bringen. Es muss an der grotesken, theaterhaften Inszenierung und der slapstickartigen Aufdeckung dieser Bluttat liegen, dass damit die Bewunderung für den Kronprinzen in jähes Entsetzen umschlug. Für erste jedenfalls hat sich die Welt sehr darüber erschreckt, als ihr aufging, dass Mohammed bin Salman gar nicht der Popstar war, für den sie ihn bis dahin am liebsten hielt, sondern der brutale Diktator, der er tatsächlich ist.
Wie eine Katharsis des Theaterpublikums wirken die Reaktionen auf diese plötzliche Entdeckung. Mit einem Mal will alle Welt nichts mehr mit dem Prinzen zu tun haben. Vor allem in Deutschland schlagen die Empörungswellen hoch. Vom Einstellen der diplomatischen Beziehungen zu Saudi Arabien, ja sogar der Waffenexporte dorthin ist die Rede. Doch da davon schon öfter die Rede war und trotz des Jemenkriegs nichts geschah, im Gegenteil, Saudi-Arabien zur zweitwichtigsten Empfänger deutscher Waffen aufstieg, wird man auch weiterhin auf eine deutsche Katharsis warten können.
Glaubwürdiger als der Theaterdonner auf der Polit- erscheinen da die Reaktionen aus einer ganz anderen Szene. Ausgerechnet Hollywood, das bisher nicht bekannt dafür war, in Gelddingen besonders skrupulös zu ein, verweigert dem Kronprinzen jetzt eine zukünftige Kooperation. Der Unterhaltungskonzern Endeavor will einen 400-Millionen-Dollar-Deal mit einem saudischen Fonds auflösen, der Kinobetreiber AMC Theaters storniert den Bau des ersten großen Kinopalastes in Riad. Auch andere Hollywood-Konzerne wie IMAX und VOX überdenken geplante Saudi-Arabien-Investments. – Wie ernsthaft diese Ankündigungen wirklich sind, wird sich noch zeigen. Zu denken gibt aber, dass zwei andere auf Subventionen und Sponsoren hoch angewiesenen Kultur-Institutionen, das Metropolitan Museum und das Brooklyn Museum in New York, von den Saudis zur Verfügung gestellte Gelder nicht verwenden wollen. Vielleicht hat man wenigstens dort begriffen, was Shakespeare mit seinem Richard III. sagen wollte: Dass es so Typen wie ihn nicht gäbe, wenn die Welt um sie sie nicht hofieren würde.
WDR 3 Mosaik 22.10.2018