Zwei D-Mark und siebzig kostete 1961 mein erstes Landserheft. Es hieß „Monte Cassino. Die Schlacht um den Klosterberg zwischen Neapel und Rom. Der legendäre Abwehrkampf deutscher Fallschirmjäger.“ Natürlich war ich mit 13 vollkommen hingerissen von dem, was ein gewisser H. Leopold über die beinharte Tapferkeit der „Grünen Teufel“ schrieb, die lieber im Trommelfeuer verreckten, als sich „den Amis“ zu ergeben. Allerdings konnte ich es nur heimlich lesen. Mein Vater hätte mir das Heft um die Ohren geschlagen. Er verbrachte den 2. Weltkrieg an der Ostfront als Sanitäter im Lazarett, hatte bei tausenden von Amputationen assistiert. Und vom Krieg die Schnauze voll. Auch von der Art von Kriegsverherrlichung, wie sie im „Landser“ betrieben wurde. Ich dagegen teilte seinerzeit eher die Auffassung von Alexander Gauland, dass man ruhig stolz auf die Leistungen der deutschen Wehrmachtssoldaten sein könne. Hätte mein Vater mir damals Hans Werner Richters „Die Geschlagenen“ zum Lesen gegeben, das auch von der Schlacht um den Monte Cassino handelt, ich hätte es angeödet zur Seite gelegt. Denn die Landser, die Richter dort beschreibt, die verspürten doch tatsächlich keinerlei Lust zu verrecken!
„Du, sag, glaubst du, das wir den Krieg gewinnen?“ sagte Grundmann. „Ich glaube gar nichts“, sagte Gühler. „Sie reden jetzt alle so viel, jetzt nach Stalingrad und nach Tunis. Sie sagen, die Amerikaner werden uns überrennen.“ „Vielleicht haben sie recht.“ Grundmann richtete sich halb auf und versuchte Gühler ins Gesicht zu sehen. „Du“, sagte er dann, „du glaubst das auch?“ „Ja“, sagte Gühler, „ich glaube es auch.“ „Dann bist du gegen Hitler?“ „Ja, ich bin gegen Hitler.“ „Und du kämpfst doch für ihn.“ „Nein“, sagte Gühler, „ich bin nur ein Rad in einer Maschine, das nicht herausspringen kann.“ „Dann möchtest du, dass die anderen siegen?“ „Es ist besser für uns.“
Hans Werner Richters „Die Geschlagenen“ erschien 1949. In einer Zeit, in der die Deutschen vom Krieg eigentlich nichts mehr hören oder lesen wollten. Der Roman wurde trotzdem ein Erfolg. Was wohl daran lag, dass der Krieg hier aus der Perspektive eines einfachen Soldaten geschildert wurde, und zwar eines Soldaten, der kein Nazi war, der gegen seine Überzeugungen zum Krieg gezwungen wurde. Offenbar gab es damals doch noch eine Menge Deutsche, die sich in der Figur des Obergefreiten Gühler wieder erkannten.
Die Romanhandlung beginnt mit der Kapitulation Italiens am 8. September 1943. Die Infanterieeinheiten, zu denen der Protagonist des Romans, Gühler, gehört, marschieren den sich von Neapel aus nähernden Amerikanern entgegen. Am Monte Cassino werden sie auseinandergerissen, graben sich auf der Flanke des Berges ein und sind während der Entscheidungsschlacht im Mai 1944 dem Trommelfeuer der amerikanischen Artillerie tagelang hilflos ausgesetzt.
„Ich halte dieses Trommeln nicht mehr aus“, sagte Hesse, „drüben haben sie alles zur Sau gemacht. Tag und Nacht immer dieselbe Scheiße. Sie sind alle fertig. Sie warten bloß noch, dass die Amerikaner kommen.“ „Von mir aus zieht die weißen Lappen hoch!“ „Ergeben?“ sagte Gühler. „Ich bin fertig“, schrie Buschmann, „fertig, sage ich euch. War zwei Jahre in Russland, aber das hier ist die Hölle, das ist Wahnsinn, das ist kein Krieg mehr.“ „Krieg ist immer Wahnsinn“, sagte Gühler langsam.
Schließlich ergeben sie sich und treten die Seereise in die Kriegsgefangenenlager in den USA an. Dort sind sie zwar gut versorgt und fern der unmittelbaren Lebensgefahr. Nicht aber fern jeder Gefahr. Denn die interne Lagerverwaltung der deutschen Kriegsgefangenen wird von fanatischen Nazis beherrscht. Mit den gleichen Methoden, mit denen von 1933 an die SA die Bevölkerung in Deutschland unter ihre Knute zwang, terrorisieren sie nun auch hier ihre Mitgefangenen. Die Amerikaner stören sich nicht groß daran: Sie machen keinen Unterschied, für sie sind alle deutschen Soldaten Nazis. – Allein dieser zweite Teil des Romans macht ihn zu etwas Besonderen. Denn die Gefangenschaft bei den Westalliierten ist kaum Gegenstand der deutschen Kriegsliteratur. Und wenn, wird sie im Rückblick oft verklärt, der lange Atem der Nazigewalt aber verdrängt.
Man zählt Richters Roman zur sogenannten „Kahlschlagliteratur“, einer kurzlebigen literarischen Strömung im Nachkriegsdeutschland, die sich durch Form und Thema radikal von jedem nationalsozialistischen Schwulst trennen wollte. Die neue Literatur sollte genau, realistisch und unpsychologisch sein. Formale Vorbilder waren Hemingway und Steinbeck. – Trotzdem wurde aus den „Geschlagenen“ dann doch kein großes Meisterwerk. Zwar ist Richters Sprache karg, er verzichtet weitgehend auf Beschreibungen, erst recht auf die Schilderung der inneren Zustände seiner Protagonisten, beschränkt sich meist auf den Dialog. Doch wirkt das endlose Stakkato der kurzen Sätze, die thematische Eindimensionalität der Dialoge auf Dauer ermüdend. Keiner der Charaktere, selbst Gühler nicht, besitzt Kontur oder gar Tiefenschärfe, zu sehr bleibt die Handlung autobiographischer Bericht, klebt eins zu eins am unmittelbar Erlebten. – Doch wahrscheinlich beruht gerade auf dieser Kunstlosigkeit der Erfolg des Romans und gibt ihm sein bis heute gültiges Gewicht. Jedes Pathos, jede Überhöhung hätte ihm seine Authentizität und damit die Wirkung genommen, auf die es Richter ankam: Er wollte nicht nur Zeugnis vom Wahnsinn des nationalsozialistischen Krieges ablegen, sondern auch von der Verstrickung derjenigen darin, die ihn nicht gewollt aber trotzdem mitgemacht haben.
Hans Werner Richter, Die Geschlagenen. Roman.Mit einem Nachwort von Hans Dieter Zimmermann. Wagenbach 2018. 340 Seiten. 14,90 Euro.
WDR 3 Mosaik 12. September 2018